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Hochsensibel Wohnen: Laute Wohngegenden, wie in der Stadt oder in einem hellhörigen Mietshaus, sind eine echte Herausforderung für hochsensitive Menschen. Durch den häufigen Lärm von der Straße oder die permanente Geräuschkulisse von Nachbarn fühlen sich Hochsensible schnell völlig überreizt und kommen nicht zur Ruhe. Wenn es dir auch so geht, dann findest du hier 7 hilfreiche Schritte, um mit deiner lauten Umgebung gut umgehen zu können.
Die hochsensible Empfindsamkeit für Geräusche
Viele Hochsensible, die in der Stadt oder einem Mietshaus wohnen, kennen dieses Problem: Du kommst nach einem langen Tag mit vielen Reizen und Eindrücken Hause und möchtest einfach nur noch entspannen. Doch kaum hast du die Wohnungstür hinter dir zugemacht, hörst du es bereits: das Wummern von Schritten über dir. Nebenan läuft der Fernseher in voller Lautstärke. Unter dir dringen die Bässe von Musik und laute Unterhaltungen nach oben. Irgendwo schreit ein Kind oder es streitet sich jemand lauthals. Von der Straße schallt Motorenlärm und die Baustelle gegenüber erzeugt auch einen hämmernden Krach.
Das Schlimmste ist, dass du eigentlich an deinem Rückzugsort bist – doch genau hier kannst du wegen des Lärms von allen Seiten keine Ruhe und Entspannung finden. Wenn selbst in den eigenen vier Wänden die hochsensible Überreizung nicht gestoppt werden kann, dann haben feinfühlige Menschen ein echtes Problem.
Woher kommt eigentlich diese hochsensible Empfindsamkeit gegenüber Geräuschen? Eigentlich nehmen wir Menschen etwa 80 Prozent aller Informationen über den Sehsinn wahr, wie Elaine Aron in ihrem Standardwerk über Hochsensibilität beschreibt. Das gilt auch für hochsensible Menschen, doch ist bei ihnen das Nervensystem generell empfindsamer und nimmt daher auch über die anderen Sinnesorgane deutlich mehr und intensiver Reize wahr. Dabei scheint aber das Gehör eine sehr große Rolle zu spielen. Vermutlich weil über den Klang von Stimmen besonders viele empathische Informationen über Emotionen, Stimmungen und zwischenmenschliche Beziehungen transportiert werden. Auch Klänge aus der Natur oder Musik enthalten oft tiefgreifende emotionale Assoziationen, Gefühle oder Erinnerungen, auf die Hochsensible besonders intensiv reagieren.
Hochsensibler Stressfaktor: Geräusche
Bei als störend wahrgenommenen Geräuschen, wie Lärm von Nachbarn oder Krach von Fahrzeugen und Maschinen jeglicher Art, entwickelt sich dann diese hochsensitive Geräuschempfindsamkeit zu einer Quelle von permanentem Stress. Das kann schnell mentale und körperliche Folgen haben, wie innere Unruhe, erhöhte Reizbarkeit, Gefühle der Ohnmacht und Frustration, permanente Angespanntheit oder verspannte Muskeln. Auf Dauer kommt es zu einer großen inneren Unausgeglichenheit bis hin zur völligen Erschöpfung.
Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, kannst können wir einige wirksame Schritte anwenden. Denn auch wenn viele Hochsensible am liebsten auf dem Land nahe zur Natur leben möchten, so gibt es auch viele empfindsame Menschen, die das reiche kulturelle und kreative Angebot der Stadt lieben oder aufgrund ihrer Arbeit oder familiären Situation nicht aufs Land ziehen möchten oder können.
Mit den folgenden Schritten ist ein ausgeglichenes, hochsensibles Wohnen auch in belebteren Gegenden gut möglich:
1. Ausgleich schaffen
Das Gute ist nämlich: Wir alle sind kein Baum, sondern können uns fortbewegen und damit zu jeder Zeit einen Ausgleich zum Trubel schaffen. Gehe raus in die Natur, wann immer es für dich im Alltag möglich ist. Auch zehn bewusste Minuten an einem ruhigen Ort machen einen gewaltigen Unterschied. Dabei kannst du zeitlich mehrere Ebenen abdecken, die zusammen einen umfassenden entspannenden Ausgleich zu deiner lauten Wohngegend etablieren:
- täglich: kleine Auszeiten in der Natur oder ruhigen Umgebungen: zum Beispiel Spaziergänge im Park, Radfahren, auf einem ruhigen Platz in die Weite schauen, auf einer Bank meditieren, usw.
- wöchentlich: regelmäßige längere Ausflüge für dich allein in die Natur: zum Beispiel in einen Wald, an einen See, über Felder und Wiesen, etc.
- mehrmals jährlich: plane Kurztrips und deinen Urlaub bewusst in sehr ruhigen und reizarmen Gegenden ein, anstatt in Metropolregionen, und auch, ob du lieber allein oder mit anderen verreisen möchtest
2. Bewegung nutzen
Im 1. Schritt ist die Bewegung bereits mit enthalten. Doch auch zu Hause und in der Stadt können Hochsensible durch körperliche Bewegung ihr Stresslevel deutlich reduzieren. Denn alle Reize und Eindrücke, die wir über den Tag verteilt aufnehmen, manifestieren sich auch in unserem Körper. So können wir über den Körper auch den damit verbundenen Stress und die Belastungen förmlich »abschütteln«, indem wir uns bewegen.
Hierfür gibt es unzählige Möglichkeiten. Wähle am besten die Formen der Bewegung, die dir wirklich Spaß machen und Glücksgefühle in dir auslösen – denn das ist der wunderbarste Weg, die Stresshormone abzubauen und die Glückshormone fließen zu lassen. Hier kannst du dich ein wenig inspirieren lassen:
- tanzen
- Yoga
- singen
- Aerobic
- kochen (und dabei tanzen und singen!)
- Seilspringen
- Radfahren
- schwimmen
3. Neugier-Meditation
Das ist eine sehr wirksame Achtsamkeits-Übung, die speziell für als störend empfundene Reize entwickelt wurde. Wenn du diesen Ansatz vertiefen möchtest, empfehle ich dir dieses Achtsamkeits-Buch. Bei dieser Übung geht darum, eine offene Haltung gegenüber den Geräuschen in der Umgebung einzunehmen.
Dabei begibst du dich in einen meditativen Zustand und ergründest die Geräusche um dich ganz interessiert und neugierig: Welche Geräusche nehme ich genau wahr? Wie viele Ebenen höre ich? Welches Muster hat jedes einzelne Geräusch? Was ist der pure Klang davon? Nähert oder entfernt sich das Geräusch? So wie ein kleines Kind die Geräusche erforschen würde, weil sie noch völlig unbekannt sind und noch keine Begrifflichkeiten oder Bewertungen damit verknüpft sind.
Durch diese offene Haltung lernst du, die Umgebung mehr zu akzeptieren und dich dabei offen zu beobachten: Wie reagiere ich darauf? Wie bewerte ich diese Reize? Was genau passiert dann in mir? Damit machst du deine stressauslösenden Bewertungen bewusst und gewinnst Abstand zu ihnen. Das verringert dein Stressempfinden und verhindert auch weitere Stressreaktionen.
4. Kommunikation und Kennenlernen
Es gibt ein interessantes psychologisches Phänomen: Geräusche von Menschen, die wir kennen, stören uns nicht annähernd so sehr, wie Geräusche von Fremden. Sobald wir eine Beziehung hergestellt haben, auch wenn es nur eine lose Beziehung ist, bewerten wir andere Menschen wohlwollender und verständnisvoller.
Das kannst du dir zunutze machen, wenn dich der Lärm deiner Nachbarn stört: Lerne sie bei einem kurzen Flurgespräch ein bisschen näher kennen. Es müssen keine tiefgehenden Gespräche oder Freundschaften daraus entstehen. Es geht darum zu erleben, dass es auch nur Menschen mit bestimmten Bedürfnissen und Alltagssorgen sind. Und dass sie zumeist ebenfalls an einem guten Zusammenwohnen interessiert sind. Ein lockerer gegenseitiger Austausch über mögliche Ruhezeiten, etwas leisere Musik oder sanftere Schritte auf dem Holzfußboden können Monate oder Jahre des stressgeplagten Lärmaushaltens beenden.
Auch wenn du sehr introvertiert und menschenscheu sein solltest, lohnt sich dieser Schritt. Du wirst merken, wie du die Geräusche plötzlich verständnisvoller bewertest und wie das ohnmächtige Gefühl, nichts dagegen ausrichten zu können der Möglichkeit weicht, deine hochsensiblen Bedürfnisse an die netten Nachbarn kommunizieren zu können.
5. Andere Reizquellen bewusst reduzieren
Manchmal lassen sich die Geräusche in der Nachbarschaft oder auf der Straße vor der Wohnung nicht vermeiden. Neben den bereits beschriebenen Schritten wie Ausgleich, Bewegung oder der Neugier-Meditation kannst du diesen Punkt nutzen, um dein generelles Reizniveau zu senken. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob du zum Beispiel bereits total reizüberflutet nach Hause kommst. Oder ob in allen anderen Lebensbereichen unbewusst dein Reizlevel konstant hoch ist. Dabei kann es wichtig sein, dass du dir neben deinen privaten Bereichen auch bewusst machst, wie du hochsensibel im Beruf agierst.
Wenn du hier ansetzt und dein Reizniveau allgemein niedriger hältst, dann hast du auch einen größeren Toleranzrahmen für die Geräusche deiner Wohnumgebung. Um dir die vielfältigen Reizquellen bewusst zu machen, die täglich auf dich einwirken, führe am besten ein Tagebuch, in dem du detailliert deine Beobachtungen und Erkenntnisse festhältst:
- Welche Reize und Eindrücke begegnen mir wann, wo, wie oft, wie intensiv? (z.B. Filme, Bücher, Nachrichten, Social Media, Gespräche mit Kollegen, Telefonate mit Freunden, etc.)
- Wie sehr belastet oder beeinträchtigt mich dieser Reiz bzw. diese Reizquelle?
- Welche davon kann ich weglassen oder deutlich reduzieren?
Durch diese bewusste Reduzierung der vielen Reizquellen wirst du allgemein mehr Entspanntheit und innere Ruhe erzeugen, was dir dann auch bei Reizen in deinen eigenen vier Wänden mehr Luft verschafft.
6. Hilfsmittel nutzen
Zusätzlich zu diesen mentalen und emotionalen Schritten gibt es auch materielle Ressourcen, die du nutzen kannst, um die Geräusche von Nachbarn oder belebten Straßen nicht so nah an deine hochsensitiven Sinnesorgane heran zu lassen.
Hier sind drei wertvolle Hilfsmittel, die meinen Klienten und mir selbst sehr weiterhelfen und zu treuen Begleitern geworden sind:
- Ohrstöpsel: Sie reduzieren sehr effektiv alle lärmenden Geräusche, besonders in den hohen und mittleren Frequenzen. Ich benutze gern die die sehr weichen Oropax Soft Schaumstoff-Stöpsel zum arbeiten oder schlafen. Sie liegen wesentlich weicher im Gehöreingang als viele andere Sorten und schließen sehr gut ab.
- Noise Cancelling Kopfhörer: Als ich das erste Mal geräuschunterdrückende Kopfhörer aufsetzte, war das wie ein Wunder! Endlich Stille inmitten lärmender Umgebungen! Solche Kopfhörer filtern auch tiefe Geräuschfrequenzen wie Bässe oder dröhnenden Maschinen effektiv heraus. Ich nutze sie oft auch ohne Musik, um die Ruhe darunter zu genießen. Oder mit beruhingenden Klängen für die zusätzliche Entspannung. Bei der Auswahl würde ich dringend auf eine gute Qualität der Filtertechnik achten. Als ohrumschließende Variante empfehle ich die Sennheiser PXC 550 und als In-Ear-Variante die Samsung Ear Buds.
- Entspannungsklänge: Ob mit oder ohne Kopfhörer: Gegen Lärm von außen kann es sehr hilfreich sein, im eigenen Raum entspannende Klänge abzuspielen. Dabei darfst du selbst entdecken, welche Klänge auf dich besonders wohltuend wirken – ist es eine bestimmte Musikrichtung oder Aufnahmen von Naturgeräuschen? Eine sanfte meditative Stimme? Vielleicht kannst du selbst auf einem Instrument etwas ruhiges spielen? Probiere dich hier ruhig aus.
7. Recht auf Rückzug und Erholung einfordern
Gerade bei empathischen Menschen sind es oft nicht nur die Reize an sich, die belastend auf sie wirken. Auch die tieferen und häufig unbewussten Glaubenssätze verhindern einen bedürfnisorientierten Umgang mit Stress und Überreizung. Das können erlernte Einstellungen sein, wie: »Ich muss immer für andere da und erreichbar sein.« oder »Ich darf erst ausruhen, wenn ich alles erledigt habe.« Hier ist es wichtig eine gute hochsensible Abgrenzung zu lernen, um auch in belebter Umgebung innere Ruhe finden zu können. Das trägt auch dazu bei, mit Lärm und störenden Geräuschen sanfter umgehen zu können.
Du kannst damit beginnen, bei nahestenden Menschen dein Recht auf Rückzug und Erholung einzufordern, zum Beispiel in der Partnerschaft, Familie oder bei Freunden. Das können erstmal ein paar Minuten sein, die du mal nur für dich hast und wo du ungestört innehalten kannst. Wenn du dich darin sicherer fühlst, dann erweitere diese Inseln für dich zeitlich und inhaltlich. Schaue dabei, was dir gut tut und zu deiner Entspannung und Erholung beiträgt.
Das Gleiche gilt natürlich auch für dein Arbeitsumfeld: fordere auch hier dein Recht auf Rückzug und Erholung ein. Vielleicht brauchst du mehr oder längere Pausen? Oder weniger Aufgabenlast und Zeitdruck? Oder klare Zeiten, wo du für Kollegen nicht erreichbar bist? Gehe auch hier auf Entdeckungsreise, was du brauchst und wo deine hochsensiblen Grenzen liegen, und kommuniziere diese dann klar und deutlich.
Hochsensibel Wohnen hat auch schöne Seiten
Mit diesen 7 Schritten wirst du sicher eine deutliche Erleichterung und Akzeptanz etablieren, um dich in deinem zu Hause wieder wohl zu fühlen und es als Ort des Rückzugs und der Entspannung nutzen zu können. Es kann auch für Hochsensible wundervoll sein, die Stadt mit ihren vielfältigen Möglichkeiten zu genießen und gleichzeitig immer einen Ort der Ruhe zu nutzen. Dieser Ort liegt in dir selbst und du trägst ihn immer bei dir. Sei bei allen Schritten sanft und gütig zu dir selbst. Damit bietest du deinen hochsensiblen Wesenszügen die besten Potenziale, sich unbeschwert und frei entfalten zu können.
Frage: Wie gehst du mit Lärm und störenden Geräuschen in deiner Nachbarschaft oder Wohngegend um? Welche Erfahrungen hast du damit gemacht? Teile es gern in den Kommentaren.